Das von vielen Unternehmen präferierte selektive IT-Outsourcing wandelt die eigene Service-Landschaft in eine Multi-Service-Provider-Umgebung. Der am Markt etablierte Ansatz, eine derartige Umgebung zu managen, heißt „Service Integration and Management“, kurz SIAM. Viele Unternehmen haben jedoch mit jedem ihrer Provider individuelle und von Provider zu Provider abweichende Vorgaben und Steuerungsmechanismen für die Service-Erbringung vereinbart. Hierdurch wird die in SIAM angestrebte Service- und Provider-übergreifende Steuerung erschwert, ja in vielen Fällen unmöglich. Reibungsverluste zwischen den Parteien sind häufig vorprogrammiert. Wir zeigen auf, welche Voraussetzungen zu schaffen sind, um auch in solchen Situationen SIAM zu ermöglichen.
In der Praxis steuern viele Unternehmen nur die einzelnen Provider, ohne Provider-übergreifend zu managen und Service Integration betreiben zu können. Doch was muss nun getan werden, um die Services verschiedener Provider zu vom Kunden angefragte Business Services zu integrieren und Service-übergreifende End-to-End-Verantwortung sicherzustellen? Wie kann das Unternehmen es schaffen, die sich meistens als Konkurrenten wahrnehmenden Provider zur zielorientierten Kooperation zu bewegen?
Vorgaben erarbeiten
Die Antwort ist: Es müssen wesentliche Voraussetzungen im eigenen Unternehmen geschaffen werden, um SIAM zu ermöglichen. Diesbezüglich sind im Wesentlichen konzeptionelle Vorgaben zu folgenden Aspekten zu erarbeiten:
- Service-Spezifikationen
- Provider-Kategorisierung
- Richtlinien und Standards:
- 3.1 SIAM-Organisation
- 3.2 Prozesse und Tools
- 3.3 Service-Level-Reporting
- 3.4 Verhaltensregeln
1. Service-Spezifikationen
Grundsätzlich sollte man alle Services des eigenen IT-Service-Portfolios einheitlich spezifizieren und genau aufeinander abstimmen. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Service intern oder extern erbracht wird und erfolgt am besten im Rahmen eines Servicekatalogs mit mehreren Ebenen. Darin sollte man insbesondere Services der unteren Ebenen (i.d.R. Infrastruktur-Services) so standardisiert gestalten, dass sie jeweils modular in verschiedenen Business Services der oberen Ebene genutzt werden können. Auch die definierten Service Levels der Services sollten aufeinander abgestimmt sein. Nur so kann man sicherstellen, dass alle Services – egal von wem sie erbracht werden – zueinander passen und sich zu einer homogenen Gesamtleistung für die eigenen Kunden zusammenfügen.
2. Provider-Kategorisierung
Ab einer gewissen Anzahl an beteiligten Service Providern ist es empfehlenswert, die Provider zu kategorisieren. Hierfür sollte man Provider hinsichtlich ihrer Bedeutung für das eigene Unternehmen bewerten. Zumindest sind strategische Partner von taktischen und Commodity Providern zu unterscheiden. Für die definierten Kategorien kann man dann jeweils ein Standard-Steuerungskonzept erstellen. So können Provider einer Kategorie einheitlich gesteuert werden, ohne unangemessen hohen Steuerungsaufwand für einen Provider zu generieren.
3. Richtlinien und Standards
Richtlinien und Standards sind für die Provider-Kooperation besonders wichtig, da mit ihnen für die Zusammenarbeit mit und zwischen den Providern einheitliche Spielregeln vorgegeben werden können. So kann man alle Provider nach gleichen Prinzipien in die eigene Service-Organisation integrieren.
Folgende Aspekte sollte man auf jeden Fall adressieren:
3.1. SIAM-Organisation
Im Rahmen der SIAM-Organisation sollte man die erforderlichen Rollen je Partei festlegen. Konkret sind je Rolle Verantwortlichkeiten und Aufgaben zu spezifizieren. Hierbei sollte man besonderes Augenmerk auf Rollen legen, die regelmäßig in Interaktion mit mindestens einer anderen Partei treten. Ein Beispiel hierfür ist ein auch mit Providervertretern besetztes Change Advisory Board im Change Management Prozess. Ein weiteres Beispiel sind Vertreter verschiedener Provider im Incident Management Forum, das der regelmäßigen Abstimmung der Incident Manager wesentlicher Provider dient.
Neben den Rollen auf Seiten eines Providers und auf Seiten der Retained Organisation sollte man insbesondere die – ggf. neu zu schaffende – Rolle des Service Integrators spezifizieren und etablieren: er koordiniert prinzipiell alle Provider- und Service-übergreifenden Aspekte und sollte auch federführend an den beiden eben genannten Beispielen beteiligt sein. Wichtig ist, jeden Provider zum rollengerechten Zusammenspiel mit dem Service Integrator und mit anderen Providern zu verpflichten.
3.2. Prozesse und Tools
Bei Prozessen ist der Fokus auf stark frequentierte Prozesse mit Beteiligung von potenziell mehreren Providern zu legen. Paradebeispiel hierfür ist der Incident Management Prozess. Man sollte hier den Schwerpunkt der Standardisierung auf die Spezifikation der Schnittstellen legen, über die die Provider in den Prozess eingebunden werden. Eine Schnittstellenvorgabe sollte zudem auch die Handhabung von Tools an der Schnittstelle umfassen.
3.3. Service-Level-Reporting
Um Service-Levels von Business Services messen zu können, die auf Infrastruktur-Services verschiedener Provider aufsetzen, müssen alle Services dieselben Kennzahlen zugrunde legen. Für diese Kennzahlen sind sodann Ist-Werte nach einem einheitlichen Messverfahren zu ermitteln. Nur dann kann man je Kennzahl die einzelnen Messwerte dieser Services zu einem aussagefähigen Gesamtmesswert für den Business Service zusammenfügen. Auf Basis dieses Gesamt-Messwerts – in Kombination mit den einzelnen Messwerten der Infrastruktur-Services – kann der Service Integrator seine End-to-End-Verantwortung wahrnehmen und bei Soll-Wert-Abweichungen steuernde Maßnahmen bei den beteiligten Providern einleiten.
3.4. Verhaltensregeln
Um Konfrontationen vorzubeugen und die Provider zu einem kooperativen Arbeitsstil zu bewegen, sollte man grundsätzliche Verhaltensregeln mit allen Parteien (auch den internen!) vereinbaren. Eine diesen Regeln zugrunde liegende Win-Win-Strategie erhöht dabei die Motivation aller Beteiligten, sich an die Regeln zu halten. Sie sollten insbesondere Fairness, Offenheit und Transparenz zwischen allen Parteien fordern.
Richtlinien und Standards vereinbaren
Die erarbeiteten Richtlinien und Standards bilden den Kern des übergreifenden Konzepts. Sie können nach Fertigstellung des Konzepts mit den Providern vereinbart werden. Bei externen Providern sollte man sie am besten in den Vertrag aufnehmen. Dies geht am einfachsten in Konkurrenzsituationen, am besten also im Outsourcing-Projekt und vor dem Vertragsabschluss. Um mit den Providern möglichst identische Vereinbarungen zu treffen, empfiehlt sich der Einsatz eigener Musterverträge, die schon entsprechende Passagen enthalten.
Bei schon unter Vertrag genommenen Providern ist das – in diesem Fall nachträgliche – Vereinbaren der Richtlinien und Standards ungleich schwieriger. Hier macht es Sinn zu differenzieren:
Strategische Partner sind möglichst schon in die Erarbeitung des übergreifenden Konzepts einzubeziehen. So können sie für sich wichtige Aspekte einbringen und sind dann eher bereit, Vertragsänderungen zu akzeptieren. Parallel bringen sie aufgrund Ihrer Erfahrung aber auch Vorschläge ein, die die Praktikabilität des Konzepts deutlich erhöhen können.
Allen nichtstrategischen Provider sollte man die beidseitigen Vorteile des übergreifenden Konzepts aufzeigen, um mit ihnen ebenfalls erforderliche Vereinbarungsänderungen zu ermöglichen. Bei nicht änderungsbereiten Providern müssen die Verhandlungen zunächst verschoben werden. In der Phase vor der nächsten Vertragsverlängerung kann man das Thema in Verhandlungen wieder aufgreifen. Alternativ kann man bei weiterer Verweigerung auch einen Providerwechsel prüfen.