Erwartungen sind einseitige Verträge, von denen der andere nichts weiß.“
(Karlheinz Wolfgang)
Viele kennen die folgende Situation: Auftraggeber und IT-Provider haben einen Vertrag abgeschlossen. Die IT-Services wurden im Rahmen eines Outsourcing-Projektes an den Provider übergeben und werden nun von ihm betrieben. Alles sollte eigentlich in bester Ordnung sein und dennoch ist im Tagesgeschäft mit dem Provider immer wieder „Sand im Getriebe“.
Die Ursache hierfür liegt oftmals in den teilweise unbewussten, nicht-erfüllten Erwartungen der Beteiligten, die bei den Vertragsverhandlungen nicht explizit zur Sprache gekommen sind. Ist der Vertrag also erst einmal geschlossen und die unausgesprochenen – bewussten und unbewussten – Erwartungen sind darin unzureichend oder gar nicht adressiert, besteht die Gefahr, dass es zu Konflikten kommt, wenn diese Erwartungen dann für die andere Partei unerwartete Verhaltensweisen auslösen. Um dies zu vermeiden, sollte der Projektleiter des Outsourcing-Projekts im Rahmen der Verhandlungsphase mit dem zukünftigen IT-Provider die Erwartungen der Schlüsselrollen beider Seiten aktiv klären. Es ist hilfreich, alle relevanten Stimmen von beiden Seiten zu hören, denn sowohl auf Auftraggeber- als auch auf der Provider-Seite gibt es keine homogene Erwartungshaltung.
Anhand ausgewählter beispielhafter, bewusst überzeichneter Rollen auf Seiten des Auftraggebers (AG) und des Providers möchten wir skizzenhaft aufzeigen wie diese – oftmals unbewussten, unterschwelligen – Erwartungen aussehen können, welche Probleme daraus resultieren und welche Konflikte sie möglicherweise verursachen.
1. Erwartungen auf der Aufraggeberseite
Der Manager
Der Manager erwartet, mit dem Outsourcing-Projekt einen „Profi“ an Bord zu holen, der alle Services kompetent, effizient und kostengünstiger als die eigene IT erbringt. Unbewusst erwartet er damit auch, dass der zukünftige IT-Provider alle für den IT-Betrieb relevanten internen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen unmittelbar versteht und in der Serviceerbringung berücksichtigt. Der neue Provider soll die Services sofort reibungslos „zum Laufen bringen“ und in der Folge auch störungsfrei betreiben. Der Manager geht von einem Pauschalpreis für die Leistung des Providers aus, der alle – dem Provider realistisch betrachtet nicht unbekannten – internen Gegebenheiten des Auftraggebers abdeckt („als Profi muss dieser so etwas einschätzen können“).
Problematisch werden diese Erwartungen dann, wenn in dem auftraggebenden Unternehmen z. B. nicht-marktüblich aufgesetzte Systeme betrieben werden und die Details dem Provider nicht vollständig transparent gemacht wurden. Aber auch wenn intern unübliche oder unklare parteiübergreifende Prozesse vorherrschen oder die Unternehmenskultur die Zusammenarbeit mit Externen erschwert.
Dies alles führt zu Verzögerungen, Komplikationen und vor allen Dingen zu ungeplantem Mehraufwand und damit zu Mehrkosten, die der Provider dem Auftraggeber in Rechnung stellt. Hier ist der Konflikt mit dem Provider vorprogrammiert. Der Manager – dessen eigene finanziellen Ziele durch die Mehrkosten gefährdet werden – wird dem Provider zum Beispiel vorwerfen, dass er bei seiner Preiskalkulation hätte wissen müssen, dass es zu Problemen kommen kann und diese daher einpreisen müssen.
Der Providermanager
Viele zukünftige Providermanager haben vorher in der internen IT-Abteilung die Services, die nun im Rahmen des Outsourcing-Projektes vergeben werden, z.B. als Systemadministrator selbst erbracht. Das Outsourcing stellt für einige von ihnen daher eine Art „Degradierung“ in eine ungeliebte Position dar. Sie wollen IT selbst betreiben und nicht andere Betreiber „überwachen“.
Es ist nicht verwunderlich, dass ein unzufriedener Providermanager mit überwiegend negativen Erwartungen in die Transition und die Betriebsphase geht: Er wird, teilweise auch unbewusst, davon ausgehen, dass er besser weiß, wie alles zu handhaben ist und daher auch alle Services besser betreiben kann.
Da Erwartungen mit Emotionen verbunden sind und unbewusst das Handeln beeinflussen, besteht die Gefahr, dass es während des IT-Betriebes immer wieder zu Rivalitäten und Machtkämpfen zwischen dem Providermanager und dem Serviceverantwortlichen auf Seiten des Providers kommt. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Providermanager sich aktiv in Details der Serviceerbringung einmischt, die ausschließlich in der Verantwortung des Providers liegen.
2. Erwartungen auf der IT-Provider Seite
Serviceverantwortlicher
Der Serviceverantwortliche des IT-Providers erwartet, dass in der Transition und im darauffolgenden Servicebetrieb alles gut läuft. Seiner Ansicht nach hat der Kunde die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Services vernünftig erbracht werden können. Unbewusst erwartet er jedoch auch, dass der Auftraggeber genau weiß, was während der Transition der Services und in der späteren Betriebsphase durch ihn selbst zu tun ist und dass er alle für den Provider notwendigen Voraussetzungen wirklich schafft.
Wenn der Auftraggeber diese Zuarbeit nicht leistet (bzw. leisten kann), kommt es beim Serviceverantwortlichen des Providers schnell zu einer konfrontativen und potentiell in Konflikte führenden Forderungshaltung: Er selbst steht unter dem Druck, Leistungen vereinbarungsgerecht zu erbringen, sieht sich aber durch den Auftraggeber gehindert, seine Ziele zu erreichen.
Der Vertrieb
Der Vertrieb des Providers möchte in erster Linie Verträge abschließen, um die ihm gesetzten Umsatzziele zu erreichen. Dabei wird sicherlich das eine oder andere Mal mehr versprochen, als in der Realität wirklich machbar ist oder Preise angeboten, die in der Transition und im späteren Betrieb potentiell die internen Margenziele gefährden. Auch wenn der Vertrieb nach Vertragsabschluss in den Folgephasen des Outsourcing-Projektes keine Rolle mehr innehat, so sind die Auswirkungen der obengenannten Umstände doch gravierend. Sie wecken auf Auftraggeberseite Erwartungen, die im Betrieb nicht erfüllt werden können oder zumindest nicht zu den im Vertrag vereinbarten Konditionen. Zudem wird der Provider in den Folgephasen einen Fokus darauf haben, Grauzonen im Vertrag zu identifizieren und Zusatzleistungen extra in Rechnung stellen zu können. Zukünftige Konflikte bezüglich der Qualität, des Umfangs und des Preises der Services sind auch hier vorprogrammiert.
3. Fazit
Wenn unausgesprochene – bewusste und unbewusste – Erwartungen in der Verhandlungsphase eines Outsourcing-Projektes nicht geklärt und im Vertrag nicht adressiert werden, wandern sie vom Projekt in den Betrieb und können hier früher oder später zu Konflikten führen, die Zeit, Ressourcen und Geld kosten. Eine bewusste Analyse und Klärung von Erwartungen in der Verhandlungsphase hilft, mögliche Konfliktauslöser schon vor Vertragsabschluss zu erkennen und zu beseitigen. Auf diese Weise kann das Konfliktpotential zwischen Auftraggeber und IT-Provider in der Betriebsphase deutlich reduziert werden.